Engelwurz (Angelica archangelica L.)
Synonyme:
Angelika, Brustwurz, Erzengelwurzel, Geistwurzel, Giftwurz, Glückenwurzel, Heiligenbitter, Heiligengeistwurz, Theriakwurz, Waldbrustwurz, ZahnwurzelWissenschaftlicher Name:
Angelica archangelica L.Familie:
Apiaceae (Doldengewächse)Heimat:
Nordeuropa und Nordasien.Inhaltsstoffe:
Wurzel: ätherisches Öl, Bitterstoffe, Gerbstoffe, Furanocumarine, Harze, Pektin.
Beschreibung
Engelwurz beeindruckt besonders durch ihre Größe: Diese zwei - bis selten dreijährige krautige Pflanze erreicht im zweiten Jahr die imposante Höhe von bis zu zwei Metern. Die Verwandte von Möhre, Sellerie, Liebstöckel und Kümmel besitzt einen hohlen, markant gerillten, im oberen Teil purpurrot überlaufenen Stängel. Blüten und ein- bis dreiteilig gefiederte Blätter wachsen aus bauchigen Scheiden heraus. Die Blätter sind auf der Unterseite blaugrün. Im Juli und August des zweiten Jahres blühen die kugelförmigen Blütendolden auf, die aus zahlreichen kleinen Blütchen zusammengesetzt sind. Die Einzelblütchen wirken grün-weiß: durch den Kranz kleiner weißer Blütenblätter, die den grünen Stempel - das weibliche Organ der Blüte - einrahmen. Die männlichen Staubbeutel ragen wie Antennen weit aus der Blüte heraus. Die gesamte Pflanze duftet stark aromatisch.
Engelwurz liebt Flussufer und feuchte Wiesen und ist besonders in den Bergregionen zu finden.
Verwendung
Medizinische Verwendung findet die getrocknete Wurzel. Die stark aromatische Zubereitung regt die Magensaft- und Bauchspeichelsekretion an, ist dadurch appetitanregend und verdauungsfördernd. Sie desinfiziert den Darm, hilft bei Blähungen, Völlegefühl sowie Magen-Darm-Beschwerden und regt die Gallesekretion an. Wegen ihrer krampflösenden Eigenschaften lindert sie Husten. Die Volksheilkunde nutzt Salben und Bäder mit Engelwurz zusätzlich bei Rheuma und Gicht. Die Anthroposophische Medizin setzt Engelwurz überdies bei der Behandlung von Lymphdrüsenschwellungen ein.
Wissenswertes
Der Name Engelwurz entstand im Mittelalter, als einem Einsiedler der Erzengel Gabriel im Traum diese Pflanze als heilkräftiges, besonders gegen die Pest wirksames Mittel zeigte. Diese Vision passt zu dem Bild, dass die Heilkräfte in der übersinnlichen Welt angesiedelt sind, dort wo auch die Engel wohnen. Der wissenschaftliche Name Angelica heißt übersetzt ebenfalls Engel (lat. angelicus = Engels-), Archangelica bedeutet Erzengel.
Da die Engelwurz in nördlichen Gefilden zuhause ist, finden sich die ältesten Schriftzeugnisse über ihre Heilwirkung in Skandinavien, Island und Grönland, wo diese Heilpflanze unter dem Namen Kvan bekannt ist. Eine isländische Gesetzgebung verbot das Ausgraben einer Engelwurzpflanze, die nicht auf dem eigenen Grund wuchs.
Wikinger brachten die potente Heilpflanze im 10. Jahrhundert nach Mitteleuropa, wo sie sich bald großer Beliebtheit erfreute, in den Klostergärten kultiviert wurde und von dort auswilderte. Wie so vielen heilkräftigen Pflanzen sagte man auch der Engelwurz in Europa schützende Wirkung gegen die Pest nach und kaute die Wurzel, um sich vor Ansteckung zu schützen. Noch 1771 gab der französische Arzt, Botaniker und Jurist Pierre Joseph Buchoz (1731-1807) den Rat, während einer Pestepidemie die Kleidung mit Pulver aus Engelwurz zu bestreuen. Engelwurz war seit dem Mittelalter zudem ein Bestandteil von Theriak (griech. therion = wildes Tier), eine ursprünglich als Gegengift entwickelte Arznei, die seit der Antike als Universalheilmittel gegen alle möglichen Krankheiten und Gebrechen verwendet wurde und heute noch - jedoch mit abgewandelter Rezeptur und Indikation - hergestellt wird.
In den Hüllblättern, aus denen neue Sprosse wachsen und die die Blütenknospen umhüllen, sah man im Mittelalter die Geste des Beschützens. Engelwurz galt im Volksglauben deshalb als Beschützerin gegen böse Zauber oder Geister.
Alle Teile der Engelwurz sind genießbar. Die Norweger, Isländer und Färöer essen bis heute Stängel und Wurzel als Gemüse zubereitet oder roh im Salat. Die pulverisierte Wurzel lässt sich als Gewürz verwenden, kandierte Wurzel ergibt eine dem Orangeat ähnliche Backzutat, und kandierte Stängel sind eine köstliche Spezialität in zum Beispiel Bayern und in der Schweiz. Die verdauungsfördernde Engelwurz ist zudem eine beliebte Komponente verschiedener Kräuterliköre. In Duftpotpourris fixiert sie den Duft.
Die Pflanze anders betrachtet
Die Engelwurz schlägt eine Brücke zwischen dem Wässrigen, Erdverbundenen auf der einen und dem Luftigen, Lichten auf der anderen Seite. Im ersten Jahr bündelt sie alle Kräfte für das Wurzelwachstum: Ein üppiger Blätterschopf ist das Einzige, was sie über der Erde zeigt. Die Blattflächen sammeln das Sonnenlicht und leiten es - gebunden in Energiespeichern wie Zucker und Stärke - an die Wurzel weiter. Im zweiten Jahr gibt die so erstarkte, wasserreiche Wurzel all diese Energie an das Licht frei, lässt die Staude zu luftiger Höhe sprießen und blühen, um danach zu sterben. Mit ihrer Vorliebe für feuchte Standorte offenbart sie ihre Verbundenheit zum Wässrigen. Ein Missverhältnis zwischen den wässrigen und luftigen Kräften im Kopf-Hals-Bereich kann zu Erkältungen mit Schleimhautschwellung und trockenem Reizhusten führen. Die Engelwurz reguliert dieses Ungleichgewicht.