Bingelkraut (Mercurialis perennis L.)
Synonyme:
Ausdauerndes Bingelkraut, Waldbingelkraut, Waldmanna, StinkerichWissenschaftlicher Name:
Mercurialis perennis L.Familie:
Wolfsmilchgewächse (Euphorbiaceae)Heimat:
Die schatten- und kalkliebende Pflanze ist in krautreichen Laubwäldern und Gebüschen in Mitteleuropa, Eurasien, Nordafrika und im Mittelmeerraum verbreitet.Inhaltsstoffe:
Das Bingelkraut besitzt Saponine, Bitterstoffe, Scharfstoffe und ätherisches Öl.
Giftige Teile
Obwohl die ganze Pflanze insbesondere zur Zeit der Fruchtreife als schwach giftig gilt, ist von Vergiftungsfällen bei Menschen nichts bekannt. Beim Vieh kann es nach dem Verzehr großer Mengen zu einer Schädigung von Nieren und Leber kommen. Als Symptome treten Fressunlust, schiefe Halsstellung, Teilnahmslosigkeit und eine Rotblaufärbung des Harns auf.
Beschreibung
Im Frühjahr ist das Bingelkraut eine der ersten Pflanzen, die in feuchten, schattigen Buchen- und Auenwäldern das dunkle Erdreich durchbricht und ihren noch hellgrünen Stängel dem Licht zuwendet. Da die oberirdischen Pflanzenteile dem vielverzweigten knotig gegliederten Wurzelwerk entspringen, tritt das Bingelkraut immer flächig auf. Bei der Wahl seines Standorts bevorzugt es Stellen, die von Wasser durchzogen werden. Die kleinen unscheinbaren Blüten des zweihäusigen Bingelkrauts haben eine gelblich-grüne Farbe und erscheinen von April bis Mai. Wie bei allen zweihäusigen Pflanzen befinden sich die weiblichen und männlichen Blüten auf getrennten Pflanzen. Die gesamte Pflanze ist schon im Erdboden fertig vorgebildet, sogar Blätter und Blüten sind bereits angelegt. Sobald sich der gekrümmte Stängel zu entfalten beginnt, scheint sich dieser geistige Plan mehr und mehr mit Leben zu erfüllen, und die Pflanze verwirklicht sich in ihrer materiellen Form. Zuerst schmiegen sich die Blätter noch dicht an den vierkantigen Stängel des jungen gestauchten Pflänzchens an. Mit zunehmender Streckung entfalten sich später die gesägten, lanzettlich geformten Blätter und bieten dem Betrachter ihre blaugrün glänzenden Blattspreiten dar.
Verwendung
Schon die Hippokratiker verwendeten das Bingelkraut im fünften und vierten vorchristlichen Jahrhundert. Lange wurden damit insbesondere Menstruationsbeschwerden und andere Frauenleiden behandelt. Die Kräuterbuchautoren des Mittelalters empfahlen die Anwendung des Tees bei Wassersucht, Verstopfung, Verschleimung der Bronchien, Appetitlosigkeit, Rheuma und Gicht. In der Homöopathie wird die Essenz gelegentlich bei rheumatischen Beschwerden eingesetzt. In der Volksheilkunde war der Tee aus dem frischen Kraut als abführendes und harntreibendes Mittel beliebt. Für diese Anwendungsbereiche wird das frische Kraut heute wegen seiner stark reizenden Wirkung nicht mehr verwendet.
Wissenswertes
Im Mittelmeergebiet wurde das Bingelkraut dem Heilgott Merkur zugeordnet, ihm verdankt es auch seinen Gattungsnamen Mercurialis. Auch die Nordgermanen schätzten das Bingelkraut sehr und widmeten es dem Asengott Wodan/Odin.
Im Mittelalter war das Bingelkraut Bestandteil von Hexensalben, die nach einer alten Rezeptur folgende neun Kräuter enthalten sollten: Mohnkraut, Eisenkraut, Godeskraut (Mercurialis), Hauswurz, Liebfrauenhaar (Mauerraute), Sonnenwende (Heliotropium), Bilsenkraut, Tollkirsche und Sturmhut (Eisenhut).
Eine weitere Besonderheit ist das Farbverhalten des Bingelkrautes. Der Inhaltsstoff Hermidin wird je nach Verarbeitung in einen blauen, roten oder braunen Farbstoff umgewandelt. Während er bei der Ausscheidung eine Rotfärbung des Harns bewirkt, färben sich die Pflanzenteile beim Trocknen blau. Aufgrund dieser tiefblauen Färbung wurde das Bingelkraut früher auch als Indigo angesehen. Der ebenfalls beim Trocknen entstehende, leicht unangenehme Geruch verhalf dem Bingelkraut zu seinem volkstümlichen Beinamen Stinkerich.
Die Pflanze anders betrachtet
Mit seiner rhythmisch-blatthaften Gestaltung und der Saponinbildung bringt das Bingelkraut sein merkurielles Wesen zum Ausdruck. Als Vermittler verbindet Merkur Dunkles mit Hellem, Flüssiges mit Luftigem und Irdisches mit Kosmischem. Während sich das Bingelkraut in seinem Sprosswachstum ganz den Erdkräften hingibt, offenbaren sich in seinem saftstrotzenden, fast wuchernden Blattwachstum starke ätherische Kräfte, die sich im Wässrigen formbildend ausleben. Auf der stofflichen Ebene halten die Saponine alles in der Schwebe und wirken ausgleichend.
Das Wasser gehört in hohem Maße zum Lebenselement des Bingelkrautes, es findet seinen Ausdruck in der wuchernden Blattmasse und ist der Vermittler zwischen den Erdkräften und dem Luftigen. Ohne Wasser - ohne Mitte - kann die Pflanze nicht überleben. Wird die Sonne zu stark, verdorrt die Pflanze und zerfällt so vollständig, als sei sie nie da gewesen.
Die für alle Wolfsmilchgewächse charakteristische, bei Entzündungen wirksame sulfurische Note des Bingelkrauts macht es zu einer wichtigen Heilpflanze bei chronisch-entzündlichen Prozessen.